Thomas Schuler
 

Das Internet -

ein starkes Instrument
beim Krisenmanagement nach der Flutkatastrophe

Anhang 3 zu:

Thomas Schuler

Hochwasser in Sachsen: Krisenmanagement, Schäden, Vorsorgemaßnahmen

 

Druck-Veröffentlichung:

In: Bedrohte Museen. Naturkatastrophen, Diebstahl, Terror, Wien: ICOM Austria, 2004.


Die Flut-Website des Sächsischen Museumsbundes wurde - ganz unerwartet für mich -  ein zentraler Faktor sowohl bei der Kommunikation nach der Flut als auch beim organisieren der Hilfe. Dieser Web-Service begann bereits am 17. August; seit 7. September war auch eine englische Version im Netz. Jeden Abend wurden diese Seiten aktualisiert und ergänzt.

 

Diese Webseiten waren - wie alle anderen Aktionen in diesen dramatischen Tagen - nicht geplant, und ich hatte auch kein Vorbild, an dem ich mich hätte orientieren können. Außerdem blieb nicht die Zeit, um mit professionellen Webdienstleistern zu kooperieren. Denn eine Nothilfe-Website muss kurzfristig und mit einfachen Mitteln produzierbar sein und jederzeit vom eigenen Computer aus änderbar. Es war eine gänzlich unerwartete Katastrophe, also blieb mir nichts anderes übrig, als zu reagieren und Tag um Tag neu herauszufinden, was am meisten nötig war. Und mit den sich ändernden Bedürfnissen entwickelte ich diese Website und fügte viele neue Elemente hinzu. Auch das Potential und die Vorteile der Web­kommunikation änderten sich während der verschiedenen Perioden der Krise und der Krisenbewälti­gung.
1) Wie es begann: Der Zusammenbruch der Kommunikation

Die Kommunikation innerhalb Sachsens war äußerst schwierig geworden. Als die Fluten kamen, muss­ten die Postdienste eingestellt werden, und bald gerieten die Telefone und Computer  ebenfalls in Schwie­rigkeiten. Als der Strom abgeschaltet wurde, konnten die Telefonanlagen, Faxgeräte und Compu­tersysteme nicht länger arbeiten.  Das steigende Wasser machte früher oder später auch dem Betrieb von einzelnen Telefonen (und manchmal sogar von ganzen Gebietsnetzen) ein Ende.

 

Handys waren nur eine sehr begrenzte Hilfe, denn einige Sendestationen waren überflutet oder ohne Strom. Die Netze arbeiteten weit oberhalb ihrer Leistungsgrenzen; deswegen baten die Behörden ein­dringlich, Handys nicht zu benutzen, weil die Not- und Rettungsdienste die verbleibenden Kapazitäten benötigten. Und selbst wenn ein Anruf auf ein Handy gelang, musste man sich kurz fassen, denn die Gesprächspartner in den überfluteten Gegenden konnten ihre Akkus nicht mehr aufladen - eine Tatsa­che, die auch die Nutzung von mobilen Computern erheblich einschränkte.
2) Wiederaufbau der Kommunikation

Eine "Kommunikationsgesellschaft" ist ziemlich hilflos, wenn all ihre hoch entwickelten Systeme zusam­menbrechen. Als ich versuchte, erste Informationen über den Zustand der Museen in den überfluteten Gebieten zu gewinnen, habe ich es zunächst mit den völlig überlasteten Notlinien der Stadt- oder Kreis­verwaltungen probiert. Um mit den Museumskollegen in direkten Kontakt zu treten, musste ich heraus­finden, wer von ihnen in höheren Lagen wohnt. Außerdem suchte ich nach Verwandten, Freunden oder Kollegen in der Nachbarschaft, die dann persönlich jemand vom Museum kontaktieren konnten. Wenn all diese Versuche misslangen, musste ich zu  einem drastischen Mittel greifen, das man eigentlich im 21. Jahrhundert meinte überwunden zu haben: Ich sandte einen "Kundschafter" (mit einem "Legitimations­schreibn" unseres Museumsbundes) mit dem Auftrag, die Straßensperren der Polizei zu überwinden (die Städte und Dörfer von Plünderern und Katastrophentouristen schützten) und direkt vor Ort das Museum zu inspizieren und jemand vom Personal zu suchen.

 

In dieser Phase waren E-Mails sehr hilfreich, und zwar aus zwei Gründen: Da viele Bewohner anderen halfen und draußen arbeiteten, waren sie telefonisch schwer erreichbar; E-Mails waren der beste Weg um ihnen längere Nachrichten zuzusenden. Außerdem können nicht viele Museumskollegen zu Hause Faxe empfangen, und die Museumsbüros waren meist in überfluteten Stadtzentren gelegen. Für viele Tage war deswegen der Austausch von Texten und Tabellen nur mit E-Mail-Anhängen möglich.

3) Erste Hilfe

In den überfluteten Städten konnte man Bibliotheken und Buchhandlungen nicht benutzen. Wenn die Museumsfachleute sich also Informationen darüber beschaffen wollten, wie man sich in einer solchen Flutkatastrophe verhalten soll, waren Websites die bestmögliche Informationsquelle. Gerade wenn man es mit einem Problem zu tun hat, dem man nie zuvor begegnet ist, benötigt man ganz detaillierte Hin­weise und Ratschläge. Einige Archiv- und Bibliotheksverbände bieten dauerhaft auf ihren Websites spezielle Seiten zur "Ersten Hilfe" für Bücher, Papierdokumente und Fotos und ebenso auch Checklisten für Notsituationen. Andere Institute ergänzten ihre Seiten mit den in dieser Situation nützlichen Informa­tionen, einschließlich der Adressen von Fachinstituten und Firmen. Da Zeit ein sehr wichtiger Faktor ist, wenn man in einem heißen Sommer völlig durchfeuchtete Bücher oder Akten retten will, war dieser Webservice außerordentlich hilfreich.

 

Die wichtigsten Informationsnetze und Mailing-Listen reagierten ebenfalls schnell und adäquat: H-Mu­seum und historicum.net boten spezielle Informationsseiten und Linklisten an.

 

Die Sonder-Website des Sächsischen Museumsbundes informierte über den aktuellen Stand der Part­nerschaften zwischen Museen. So konnte jedes Museum, das Hilfe leisten wollte, sehen, wo noch ein anderes Museum ohne Partner war. Außerdem stellte ich einen Schadenskatalog zusammen und publi­zierte ihn im Netz, damit klar wurde, welche Art von Dienstleistung oder Sachhilfe in den verschiedenen Museen gewünscht war.



4) Informationsverbreitung

Museumskollegen in ganz Deutschland sorgten sich sehr um die sächsischen Museen, als sie die Hor­rorbilder in den Fernsehnachrichten sahen. Eines meiner ersten Anliegen war deshalb, auf der Website eine Liste der betroffenen und auch der nicht betroffenen Museen zu veröffentlichen. Ganz am Anfang war diese Liste mit vielen Fragezeichen durchsetzt, aber Tag um Tag wurden sie weniger.

 

Bald entschied ich mich, die am stärksten geschädigten Museen etwas ausführlicher zu präsentieren. Denn unglücklicherweise war die offizielle Website "Museen in Sachsen" mit ihrem "Sächsischen Mu­seumsführer" und ebenfalls auch die Website der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in den ersten Wochen nicht im Netz, denn der in Dresden lokalisierte Server des Ministeriums war ausgefallen. Als Ersatz sammelte ich Basisinformationen und Fotos zu den 20 am meisten geschädigten Museen. Da viele Privatpersonen, Museen und Verbände in Deutschland anfragten, wie sie mit Spenden direkt hel­fen könnten, fügte ich die Spendenkonten aller geschädigten Museen (und ihrer Fördervereine) hinzu.



5) Weitere Bausteine

Als sich herausstellte, dass der Tourismus in Sachsen schwer beeinträchtigt war, sammelte und publi­zierte ich die Wiedereröffnungstermine der Museen. Außerdem richtete ich eine Sonderseite ein, auf der die ersten Sonderausstellungen und Aktionen nach der Flut und insbesondere die Fotoausstellungen über die Flut präsentiert wurden.

 

Die Bundesregierung und einige Kulturstiftungen haben Unterstützungsprogramme angekündigt. Förder­richtlinien und Verfahren wurden zu einer komplizierten und öfter sich ändernden Angelegenheit. Ich bemühte mich daher, den nichtstaatlichen Museen ständig die aktuellen  Informationen zu dieser zen­tralen Frage zu liefern.

 

Als die Hauptinformationsprobleme innerhalb Sachsens gelöst waren, war Zeit für einen Blick über die Grenzen: Informationen über die Museen in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und der Tschechischen Republik wurden in unsere Website integriert. Die seit 7. September entwickelte englische Version berichtete von Anfang an von allen betroffenen Museen in Deutschland.



6) Fazit

Während einer Katastrophe ist das Internet ebenso lahm gelegt wie die anderen stromabhängigen Kom­munikationssysteme. Aber danach sind Internet und E-Mails wichtige Ergänzungen der herkömmlichen Medien. Die Portale verlinken nicht nur zu Schadensberichten sondern auch zu Fachinformationen über Katastrophenhilfe und konservatorische Spezialfragen.

 

Eine eigene Website bietet insbesondere denjenigen Einrichtungen, die nicht im Fokus der Journalisten liegen, die Chance, auf sich aufmerksam machen und ihre Freunde und Partner deutschlandweit entwe­der zu beruhigen oder zur Hilfe zu animieren. Eine zentrale Sonder-Website eignet sich darüber hinaus hervorragend zum raschen Aktualisieren von Informationen, zum Aufbauen und Steuern von Partner-Netzen und zum Vermitteln von direkten Hilfen und Spenden.


 

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